Die Geschichte des Kirchenbaus

Romanische Turmfront und gotischer Chor

Seit der Invententarisierung durch Doering 1902 erfolgte eine eingehende Bestandsaufnahme und Deutung erst wieder nach 1989/90. Eine erste Aufmessung nahmen Möhlmann & Urbisch 1991/92 vor. Höller beschrieb und deutete den romanischen Bau in allen seinen Teilen 2005. Das Institut für Denkmalpflege in Halle ließ 2005 ein restauratorisches Vorgutachten erstellen und betreut seither die Sicherung und Renovierung des Bauwerks.

Grabungsbefunde sind spärlich: es liegt nur die kurze Niederschrift eines Ortschronisten nach der Besichtigung zweier bis 1,80 tiefer Kanalisierungsgräben an den Längsseiten der Kirche vor, die 1990/91 zur Ableitung von Regenwasser angelegt wurden. Aus dem Jahr 1998 gibt es einen Fundbericht über eine viertägige Notbergung, mit der das Landesamt für Archäologie Grabungsarbeiten im Innern der Kirche bei der Erneuerung des Fußbodens und beim Einbau von Heizungsschächten begleitete. Aus diesen beiden Berichten wissen wir, daß der jetzige Chor aus dem Jahr 1516 auf zwischen den Stützpfeilerbasen flach gewölbten Fundamenten steht, bestätigt wurde weiterhin, daß sowohl auf dem direkt an die Südseite der Kirche anschließenden „Stephanikirchhof“ als auch im Innern der Kirche zahlreiche Bestattungen stattgefunden haben. Weder innerhalb noch außerhalb der jetzigen Kirche fanden sich, wie mancherseits immer wieder erwartet, Brandhorizonte und bis jetzt leider auch keine Hinweise auf Vorgängerkirchen oder die nach siedlungsgeographischen Untersuchungen an dieser Stelle vielleicht zu vermutende vorbestehende Burganlage.

Wenn ein Kirchenvorsteher im Jahr 1771 im Bauregister von 1552 nachträglich eine erste hölzerne Kirche für die Jahre 781/84 und eine weitere steinerne um 913 aufzählt, so mögen das reine Vermutungen sein, aber vielleicht standen ihm noch Überlieferungen zur Verfügung, die uns bereits verschüttet sind.

Nach dem baurestauratorischen Vorgutachten von 2005 ist der romanische Westbau mit Ausnahme der jetzigen Glockengeschosse direkt unterhalb der Turmhelme, die im späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert in der heutigen Form entstanden sein dürften, weitgehend ein Bestand des 12. Jahrhunderts.

Stilkritische Überlegungen Höllers 2005 ordnen dessen ersten, in unregelmäßig geschichtetem Kleinquadermauerwerk errichteten Bauabschnitt, der auch an der Bespannung mit Halbsäulen zu erkennen ist, noch vor 1150 ein: nach Quedlinburg (bis 1129) und Königslutter (ab 1135) sowie vor den um 1170 zu datierenden Westbau der nahen Klosterkirche Drübeck.

Eine von Höller 2005 veranlaßte Untersuchung von in diesem Bereich gefundenen Innengerüstholzresten ergab nach der C14-Methode ein Zeitfenster von 970 bis 1073/1154 und in Kombination mit der Dendrochronologie ein Fällungsdatum für das im Westwerk gefundene Gerüstholz von um 1089, erheblich früher, als bisher angenommen.

Über diesen ältesten 3 Stockwerken wurden ebenfalls noch im 12. Jahrhundert die beiden Türmen noch gemeinsame romanischen Glockenstube und darüber je ein weiteres den einzelnen Türmen angehörendes Stockwerk errichtet. Sie sind an ihrem Schichtenmauerwerk aus sehr unterschiedlichen Steinformaten erkennbar.

Aus dem romanischen Kirchenschiff stammen noch die zwei östlichen Pfeiler der vermutlichen Vierung als Chorbogenpfeiler des heutigen Langhauses, weiterhin die Sakristei und die Orgelstube darüber im Nordostwinkel zwischen Chor und Langhaus, wiederverwendete Sockelsteine in den Nordost- und Nordwestjochen des nördlichen Seitenschiffs und auch der Winkel zwischen Chor und südlichem Seitenschiff enthält in seinem untersten Teil noch vorgotische Substanz.

Das 1552 abgerissene Langhaus (war es überhaupt noch romanisch oder vielleicht schon gotisch?) war deutlich niedriger und schmaler als das heutige. Es kann ein- oder dreischiffig gewesen sein, wir wissen auch nicht, ob der Westbau und das erste Langhaus überhaupt in einer Bauphase entstanden sind, deutet doch die Fassadengestaltung der Ostseite des ältesten Teils der Turmfront darauf hin, daß diese frei vor einem ersten Langhaus gestanden haben könnte und dessen Anbindung oder auch die des nachfolgenden Kirchenschiffs erst später erfolgt ist.

Das mittelalterliche eindrucksvolle bronzene Taufbecken wird in die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert.

Die Altarmensa dürfte ebenfalls noch romanisch sein, wenn auch die später an ihr angebrachten Tauprofile, die sehr ähnlich in St. Jacobi in Goslar in das Jahr 1516 datiert werden können, die Erneuerung des Chorraums um 1516 markieren.

 

Spätgotischer Chor von 1516        

 

 

Eine schriftliche Überlieferung dazu findet sich erst 1552 im Zusammenhang mit dem Neubau des Hauptschiffs: „Undt darumb hat die Stadt undt gantz gemeiner Bürgerschafft nothdränglich bawen müßen. Undt haben Anno domini 1515 den Chor undt Anno 1552 die gantz Kirch, ohn ander Leut Hülf undt beschwerniß, auß dem Grundt schön undt new gebawet“.

Bemerkenswert ist, daß die Baujahre in die erste Regierungsjahre Kardinal Albrechts von Brandenburg fallen und ebenso fällt auf, daß sich bisher keinerlei Überlieferungen für die Rolle fanden, die der bischöfliche Landesherr und das HalberstädterDomkapitel als Patron beim mit der Chorerneuerung beginnenden Umbau der mittelalterlichen Kirche gespielt haben.

Dagegen ist aber aus den Schlußsteinen des 1516 erneuerten Chors und den sie umgebenden Rosetten auf einen maßgeblichen städtischen Einfluß zu schließen. Man sieht nämlich auf den Rosetten um die Chorschlußsteine, die mit Maria mit dem Christuskind, den Heiligen Stephanus und Bartholomäus noch durchaus vorreformatorisch katholisch gestaltet sind, schon siebenmal die Osterwiecker Rose, auf weiteren Schlußsteinen die Wappen der Ratsherren und Bürgermeister dieser Jahre (Hillebrand) Kirchhoff und (Henni) Winkel, und das Wappen der einflußreichen Wandschneidergilde, erkennbar an zwei Fachbögen. Zwei weitere Osterwiecker Rosen und drei bisher nicht identifizierte Wappen befinden sich um 2 kleinere Schlußsteine herum, auf denen zentral einmal das Osterwiecker Stadtwappen und einmal ein weiteres bisher unbekanntes Wappen zu sehen sind. Es fehlt somit jeder Hinweis auf den bischöflichen Landesherrn und das domkapitularische Kirchenpatronat.       

                                       

Und ein weiteres: Nach der Stadtansicht Merians von 1642 war mit dem Dachreiter des Hohen Chors zur alten romanischen Doppelturmfront ein dritter Kirchenturm mit Schallluken und einer Glocke hinzugekommen, die immer zur Messe geläutet worden sein soll. Diese Glocke dürfte aber schon 1705 nicht mehr vorhanden gewesen sein, denn „Schalluken, welche noch von einer ehemaligen darin hangenden Epistelglocke herrührten", wurden in diesem Jahr des „vielfältigen Schlenkerns halber" wieder zugehängt. Der Turmknopf aber, der „sicher zerschossen gewesen war", wurde durch einen Kupferschmied nochmals ausgebessert und wieder angebracht.

 

Das spätgotische Hauptschiff von 1552-57

 

Aus den Kirchenrechnungsbüchern, die seit der Einführung der Reformation in Osterwieck fast vollständig vorhanden sind, wissen wir, daß im Jahre 1552 das alte Kirchenschiff abgerissen und in der kurzen Zeit von nur 5 Jahren die heutige fünfjochige und dreischiffige Langhaushalle errichtet wurde. Die in den Kirchenbüchern dafür abgerechneten Mittel stellte zu fast 90% der Rat der Stadt zur Verfügung. Besonders gekennzeichnet wird dieser spätgotische Hallenbau, der in vielem schon den Geist der Renaissance atmet, durch seine Arkadenbögen mit Steinmetzreliefs.

 

Literatur:

Christiner, Rudolf: Mittelalterliche Taufbecken in Österreich, Bd. 1, Dissertationen der Karl-Franzens-Universität Graz, 1992, S. 13.Hahne,Willy: Niederschrift, Osterwieck 1991.

Mitteilung über Untersuchungsbefunde des Physikalischen Instituts der Universität Erlangen/Nürnberg und des Instituts für Archäologie, Bauforschung und Denkmalpflege der Universität Bamberg vom Nov. 2005.

Höller, Klaus Albert: Romanik an St. Stephani, in:Thiele, Klaus, (Hg.): 1200Jahre Bistum Halberstadt. Osterwieck. Frühe Mission und frühprotestantische Bilderwelten (= Harz-Forschungen 21), Wernigerode/Berlin 2005, dort auf S. 38-45.

ponsasini PG, linke-grützner-dähne&partner: Osterwieck, Stephanikirche,Westwerk und Langhausfassaden, Restauratorisches Vorgutachten ..., Mellingen/Altenburg 2005.

Meibeyer, Wolfgang: Beiträge zur frühmittelalterlichen Entwicklung Osterwiecks aus siedlungsgeographischer Sicht, Harz-Zeitschrift 57, Berlin/Wernigerode 2005, S. 13-34

Röcklebe, Andreas: Stadt und Kirche – St. Stephani/Osterwieck. Ein frühprotestantischer Innenraum als Spiegel von Konfession und Machtstrukturen. Magisterarbeit am Institut für Kunstgeschichte, Leipzig 2005, S. 45f.

Schröder, Olaf: Fundbericht St. Stephanikirche, Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle 1998.

 

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