Inhalt:

1. Die Steinmetzreliefs in der Kirche

2. Vortrag über Steinmetze und ihre Kunst von Ansgar Teschner und Klaus Thiele

 

1. Die Steinmetzreliefs

 

Das Hauptschiff der Kirche St. Stephani, das 60 Jahre vor der Wolfenbütteler Hauptkirche Beatae Mariae Virginis entstanden ist und von dem wir annehmen dürfen, daß es deren Baumeister Paul Francke anläßlich seiner Tätigkeit in Hessen schon 1564 kennengelernt hat, ist durch die kunstvolle Ausgestaltung der Arkadenbögen über den achteckigen Pfeilern aus rotbraun geflammten Schlanstedter Sandstein eine Steinmetzkirche am Übergang von der Spätgotik zu Renaissance von besonderem Rang. Denn 300 in den zwei chornahen Arkaden in zwei oder drei Reihen angeordnete Sandsteinreliefs, von denen keines dem andern gleicht, sind eine einzigartige bisher aus keiner anderen Kirche bekannte baukünstlerische Ausstattung. Auch die schlichteren drei westlichen Arkaden wurden aus ungewöhnlich sorgfältig zubereiteten profilierten Steinen gewölbt, ihre nur an den Längsrändern kassettierten Flächen sind ein weiteres Renaissanceelement der sonst noch gotischen Arkadenbogenreihen.

 

 

 

 

Dazu kommen an fast allen Pfeilern anstelle von Kämpfern Wappensteine sowie Wappen und Hauszeichen an den Konsolen der Pfeiler und auf den 19 Schlußsteinen des Kirchenschiffs und des Chors.

 

    

Aus vielen unterschiedlichen Reliefs mit Wappen, Hauszeichen, floralen Elementen, realistischen und stilisierten Kopf- und Tierdarstellungen, Drolerien und Phantasiegebilden aller Art hat der leitende Steinmetzmeister und vermutliche Architekt des Hauptschiffneubaus, den wir aus den Kirchenbüchern als Mester Lodenerh kennen und unter dem Steinmetzzeichen L K vermuten, an den Osterwiecker Arkaden ein ornamentales Programm von großer stilistischer, konzeptioneller und handwerklicher Geschlossenheit geschaffen,

 

 

  

obwohl daran nach den ca. 259 bisher registrierten Zeichen zu schließen mindestens 28 Steinmetze von 1552-1557 in seiner Steinmetzhütte tätig waren. Von den wenigen namentlich bekannten ist vor allem der Osterwiecker Jacob Tetteborn zu erwähnen, der sich mit seinem Zeichen 54mal allein in der Kirche verewigt hat.

 

194 Wappen, Hauszeichen und Inschriften von bürgerlichen und adeligen Personen und Institutionen auf Schlußsteinen, an den Arkadenbögen und auch den Emporen der Kirche spiegeln ein einrucksvolles in noch mittelalterlichem und schon frühneuzeitlichen Selbstverständnis wurzelndes „Verewigung-" und „Repräsentationsbedürfnis" wider, allein auf den Schlußsteinen und in den Arkadenbögen dieses ersten von einer protestantischen Stadt geplanten und vollendeten größeren Kirchbaus ist das 116 mal der Fall.            

Die Fülle der Wappen ist aber mehr als nur Selbstdarstellung, denn sie bekräftigt bekenntnishaft die Aussage des zentralen Schlußsteins der 1556 gewölbten Kirche. Es ist eine frühprotestantische Wappenikonographie, die St. Stephani gleichsam zur Kirche des „Augsburger Religionsfriedens"macht. 

Denn dort steht auf Latein geschrieben:

„Dieser Eckstein ist Christus"

und zitiert werden Apostelgeschichte 4 und Epheser 2, wonach Jesus Christus der Eckstein und alleiniges Unterpfand allen Heils ist für die Bürger einer Stadt, die in der von ihr erbauten Kirche nicht mehr Gäste und Fremdlinge sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen sind.                                   

 

Literatur:

Schwarz, Gesine: „...und haben auch anno Domini 1552 die gantze kirch ohn anderer leut hüllf und beschwerniß auß dem grund schön und new gebawet“ (Letzner 1602), S. 53-59, in: 1990-2000. 10 Jahre Kirchbauverein in St. Stephani Osterwieck, Osterwieck 2000.

Thiele, Klaus: Zur Geschichte eines aufgelassenen Steinbruchs bei Schlanstedt, S. 27-31 in: Zwischen Harz und Bruch, Heft 36, Halberstadt 2004.

Thiele, Klaus, (Hg.): 1200 Jahre Bistum Halberstadt. Osterwieck. Frühe Mission und frühprotestantische Bilderwelten (= Harz-Forschungen 21), Wernigerode/Berlin 2005, dort auf S. 60-88 und 187-203: Thiele, Liselotte: „Den Steynmettzerenn vorlönet Anno 1552 – „Vom Rade Ingenohme“. Thiele, Klaus: Das frühprotestantische Hauptschiff 1552-57. Wappenikonographie auf Schlußsteinen, Arkadenbögen, Pfeilern und Emporen. Thiele, Klaus: Familien-, stadt-, regional- und reichsgeschichtliche Überlieferungen aus den Wappen einer Kirche des 16. Jahrhunderts bis zum Dreißigjährigen Krieg.

 

2. St. Stephani - eine Steinmetzkirche am Übergang von der Spätgotik zur Renaissance und ihr Architekt                                "Mester Loddenerh"

 

(Nach einem am 22.05.2006 in St. Stephani/Osterwieck gehaltenen Vortrag mit Lichtbildern) von Ansgar Teschner, Steinmetzmeister in Osterwieck und Klaus Thiele, Wolfenbüttel

Das Steinmetzhandwerk

Der Beruf des Steinmetz ist einer der ältesten Handwerksberufe und reicht bis weit vor die antiken Hochkulturen in die Steinzeit zurück. Denn schon in der Steinzeit gaben die Menschen den Steinen eine Form und schufen mit dem Faustkeil die ältesten Skulpturen der Menschheitsgeschichte. Aus diesen ersten, aus Stein geschlagenen Werkzeugen entstand die Bildhauerei, und der Abbau von Naturstein im Steinbruch und seine Bearbeitung sind das älteste geschichtlich nachweisbare Bauhandwerk der Welt.

Das älteste bekannte Kunstwerk aus Stein ist die vor mehr als 25.000 Jahren entstandene, in der österreichischen Wachau gefundene „Venus von Willendorf" aus der Altsteinzeit.

Die Pyramiden von Giseh (ca. 2600 v. Chr.) und die Akropolis in Athen (ca. 440 v. Chr.) wurden von Steinmetzen mit nach heutigen Maßstäben primitiven Mitteln erbaut. Doch existieren diese Monumente, die ohne Mörtel gebaut wurden und nur durch die exakte Bearbeitung der Steine zusammengehalten werden, noch heute.

Zur Zeit Karls des Großen kam das Steinmetzhandwerk erstmals in die Region nördlich der Alpen und erreichte eine besondere Blütezeit in der Gotik. Im Zusammenhang mit diesem bauwirtschaftlichen Aufschwung wurden gegen Ende des 12. Jahrhunderts schließlich die Steinhauerzünfte geboren. Sie legten die Rechte und Pflichten für alle Steinmetze und Steinbildhauer fest. So konnte ein ausgelernter Geselle nach seinen Wanderjahren eine Meisterwerkstatt aufsuchen, sein Meisterstück schaffen und als ,,freier Meister" bei einer Steinmetzwerkstatt anstellig werden.

Die Steinmetze auf Wanderschaft schlossen sich 1459 in Regensburg „zu Nutz und Notdurft der Meister und Gesellen“ und zur Festigung ihrer Position gegenüber den ortsansässigen Handwerkern, die in Zünften organisiert waren, zu einer überregionalen beitragspflichtigen Steinmetzbruderschaft zusammen. In Anlehnung an die größten Dombauhütten ihrer Zeit war die Bruderschaft regional untergliedert: Straßburg war zuständig für die Pfalz, Franken, Hessen, Thüringen, Sachsen, Schwaben und Süddeutschland; Wien für Österreich, Steiermark, Kärnten und Ungarn und Köln für Norddeutschland.

In deutscher Sprache ist die Berufsbezeichnung „Steinmetz“ erst Ende des 13. Jahrhunderts nachweisbar, davor waren lateinische Bezeichnungen wie „lathomus“ oder „caementarius“ üblich, wobei auch die „locatores“, die sich als Setzer der zugehauenen Steine von den „muratores“ - den Maurern - abgrenzten, Steinmetze gewesen sein dürften. Im frühen 15. Jahrhundert wird eine besser bezahlte Gruppe als „Bildhauer“ und „Laubhauer“ (florale Verzierungen der Kapitelle) bezeichnet. Ihre Lehrzeit dauerte mit 6-7 Jahren noch 1-2 Jahre länger als die der Steinmetze. Nach der Lehrzeit wurde man ohne Prüfung „Diener“, trat einer Steinmetzbruderschaft bei und ging auf Wanderschaft. Um seine bildhauerischen Fähigkeiten zu vervollständigen und Kenntnisse in Konstruktion und Entwurf zu erlangen, schloß man sich anschließend für weitere 2 Jahre einem Meister oder Werkmeister als „Kunstdiener“ oder „Meisterknecht“ an. Prüfungen gab es damals nicht. Aus Abrechnungen geht hervor, daß die Anzahl der auf den Baustellen tätigen Steinmetze jahreszeitlich und auftragsbedingt bereits im Mittelalter sehr schwankte. Ihre Wanderungen kamen den Bedürfnissen der Berufsausbildung wie denen der Baustellen in gleicher Weise entgegen.

Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführte Gewerbefreiheit löste die Zünfte, die wie Familien waren, auf. Die Steinmetze waren dem gnadenlosen Wettbewerb der Wirtschaft schutzlos ausgeliefert und mußten ihre Angelegenheiten selbst regeln. Doch sie schlossen sich wie schon einmal zusammen und bildeten Innungen als freiwillige Vereinigungen der Handwerksbetriebe. Dies sind sozusagen die modernen Zünfte, allerdings fallen die Regeln und Pflichten, wie sie im Mittelalter herrschten weg, da man sich darauf konzentrierte, sich gegenseitig zu helfen (Handwerkskammer).

Die Industrialisierung ersetzte körperlich schwere Arbeit, wie das Schneiden von Steinblöcken, durch Maschinen. Damit konnte auch eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit erreicht werden. Jedoch wird nach wie vor erst durch die Hand des Steinmetzes oder Steinbildhauers aus einem Steinklotz ein Objekt voll Wärme und Leben. Dennoch hat sich im Laufe der Jahrhunderte das Arbeitsgebiet der Steinmetze verändert. Denn heutzutage werden auch Grabsteine, Fassaden, Fensterbänke oder Treppen hauptsächlich industriell hergestellt und errichtet und die Zeiten der Monumentalbauten sind längst vorüber. Heute gilt es vielmehr die Werke aus den vergangenen Glanzzeiten des Steinmetzhandwerks zu erhalten und zu restaurieren. Aktuellstes Beispiel ist hierfür die Wiedererrichtung der Frauenkirche in Dresden.

Am Beispiel der Stephanikirche in Osterwieck läßt sich die Arbeit der Steinmetze detailliert darstellen. Zudem konnten aus den Abrechnungen des Rates und der Kirchengemeinde in den Jahren 1552-1557 viele Informationen zu den bautechnischen, wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen jener Zeit und darüber hinaus viel Neues über die Entstehung und den besonderen Rang dieser Kirche vor dem Hintergrund der Reformation und der frühneuzeitlichen Blüte der historischen Fachwerkstadt Osterwieck ermittelt werden.

Die Stadt Osterwieck im Reformationsjahrhundert

Die Steinmetzordnung von 1459 war ebenso wie die Erfindung des Buchdrucks eine der neuzeitlichen Entwicklungen, die oft schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu verzeichnen sind, denn was gibt es Neuzeitlicheres, wie das Ziel der Steinmetzbruderschaft, die mittelalterlichen Zunft-, Stadt- und Territorialgrenzen zu überwinden.

Um 1500 machte auch das damals schon 700jährige Osterwieck - seit 974 die älteste Münz- und Markstätte im Bistum Halberstadt und schon 1215 als Stadt bezeichnet, das älteste Stadtwappen wird an das Ende dieses Jahrhunderts datiert – städtebaulich geradezu einen Sprung in die Neuzeit und das Jahrhundert seiner wirtschaftlichen und kulturellen Blüte, die aber schon mit dem 30jährigen Krieg ebenso ihr Ende finden sollte, wie das Bistum, dem Osterwieck nach Aschersleben als zweitgrößte der beiden bischöflichen Immediatstädte 800 Jahre angehört hatte.

Wenn auch über die mittelalterliche Stadtgeschichte Osterwiecks erstaunlich wenig überliefert und erforscht ist, so darf man doch annehmen, daß am Anfang der frühneuzeitlichen Umgestaltung der Stadt die Katastrophe eines verheerenden Ilse-Hochwassers stand, durch das im Jahr 1495 nicht nur die alte Stadtbefestigung, sondern sogar das Mauerwerk der etwas höher gelegenen Stephani-Kirche, vor allem aber auch die Fachwerkhäuser der Stadt so erheblich geschädigt wurden, daß die Erneuerung der Kirche ebenso notwendig wurde, wie es zur Folge hatte, daß wir heute in Osterwieck nur noch zwei Häuser aus dem 15. Jahrhundert finden.

Auf Anordnung und mit finanzieller Förderung des bischöflichen Landesherrn Kardinal Albrechts wurde eine Ilse-Umflut südlich der Stadtmauern angelegt, in die auch der zerstörerische Tralle-Bach eingeleitet wurde. Von 1506-1545 dürfte die mächtige Stadtbefestigung mit Wachtürmen entstanden sein, die der Merianstich von 1644 zeigt.

Die große Wirtschaftskraft der Stadt und ihrer Bürger belegen noch immer die ab dem 16. Jahrhundert gebauten und bis heute erhaltenen gebliebenen 126 Häuser aus der Zeit vor dem 30jährigen Krieg. Auch das Rathaus und Chor und Hauptschiff der Kirche St. Stephani entstanden in diesem Jahrhundert. Die drei schon auf dem Stadtplan von 1886 erkennbaren Straßenzüge und Stadtviertel Schulzenstraße, Neukirchenstraße und Kapellenstraße sind auch heute noch das Grundgerüst der Stadt.

Nach der Reformation haben sich schon 1535 nicht nur die Einwohner der Stadt, sondern auch die stiftsadeligen Familien ihrer Umgebung und viele Adelsfamilien am Harzrand und im benachbarten Braunschweiger Fürstentum der lutherischen Reformation zugewandt.

Die Fülle des Schnitzwerks an den Häusern der Stadt beweist nicht nur die wirtschaftliche und kulturelle Blüte ihrer Erbauer, darüber hinaus bezeugen auch die religiösen Aussagen der Hausinschriften ebenso wie die bürgerlichen und adeligen Wappen in der Kirche die Zugehörigkeit dieser bis heute beispielhaft erhaltenen frühneuzeitlichen Stadt zum Augsburger Bekenntnis. Das ist die besondere Bedeutung des heute so kleinen und oft vernachlässigten Osterwiecks für die deutsche Kulturlandschaft und sein bis heute nicht erkannter und hinreichend gewürdigter Anteil am Weltkulturerbe.

Der Chor von 1516 und das Kirchenschiff von 1552-1557

Die Erneuerung des noch vor der Reformation 1516 fertig gestellten Chors der Kirche fällt bereits in die ersten Regierungsjahre Kardinal Albrechts. Es fanden sich bisher aber keine Hinweise darauf, daß er als bischöflicher Landesherr oder das Halberstädter Domkapitel als Kirchenpatron eine besondere Rolle dabei gespielt haben.

Dagegen ist aus den Gewölbe-Schlußsteinen des erneuerten Chors und den sie umgebenden Rosetten auch 1516 schon auf einen maßgeblichen städtischen Einfluß zu schließen. Man sieht nämlich auf den Rosetten um die Chorschlußsteine, die mit Marien- und Heiligendarstellungen noch vorreformatorisch gestaltet sind, neunmal die Osterwiecker Rose, auf weiteren Schlußsteinen die Wappen der Bürgermeister und Kämmerer dieser Jahre, Kirchhoff und Winkel, und - erkennbar an den zwei „Fachbögen“ - das Wappen der einflußreichen Wandschneidergilde, nochmals ein Stadtwappen sowie vier weitere bisher nicht identifizierte persönliche Wappen. Jeder Hinweis auf den bischöflichen Landesherrn und das domkapitularische Kirchenpatronat fehlt dagegen völlig.

Die ab 1517 einsetzende Ausbreitung der Reformation brachte zunächst eine Baupause. Ab 1519 sind zwar mehrere der später protestantischen Ratsherren im Rat nachweisbar, dennoch empfing dieser 1533, zwei Jahre bevor man 1535 die Reformation in der Stadt durchführte, nochmals feierlich seinen katholischen Landesherrn. 1552, gleich nach der Aufhebung des Augsburger Interims, das die von den Protestanten 1548 verlorene Schlacht bei Mühlberg an der Elbe zur Folge gehabt hatte, aber noch ein Jahr vor dem protestantischen Sieg von Sievershausen, berief der Rat zur Befestigung der Reformation Heinrich Winkel als Diakon und ließ durch die Kirchengemeinde das alte Kirchenschiff abreißen und in nur 5 Jahren bis 1557 das jetzige Hauptschiff erbauen.

Seine Arkadenbögen aus rotbraun geflammtem Schlanstedter Sandstein werden von 8 aus sorgfältig bearbeiten Steinblöcken errichteten achteckigen Pfeilern getragen. Die zwei chornahen Arkaden weisen in zwei oder drei Reihen angeordnet über 300 Sandsteinreliefs – darunter 48 mit persönlichen Wappen – auf, von denen keines dem andern gleicht, eine einzigartige, bisher aus keiner anderen Kirche so bekannte baukünstlerische Ausstattung. Dazu kommen auch an fast allen Pfeilern, auf jeder der Pfeilerkonsolen und den meisten der behauenen und farbig gefaßten Gewölbe-Schlußsteinen Wappen und Hauszeichen. 98 vorwiegend bürgerliche, aber auch adelige Personen aus der Bauzeit dieser Kirche haben die Steinmetze auf diese Weise verewigt, so lange diese Kirche bestehen wird, eine in Stein gemeißelte Dokumentation von großer stadtgeschichtlicher Bedeutung. Auch dies macht St. Stephani zu einer der bedeutendsten Steinmetzkirchen am Übergang von der Spätgotik zur Renaissance und kennzeichnet den ganz besonderem Rang der Kirche. Deshalb konnte die Osterwiecker Kirche auch für die nächsten protestantischen Kirchenbauten der Region wie die Hornburger Kirche, vor allem aber auch für die Marienkirche in Wolfenbüttel, die erste bedeutende Steinmetzkirche des 17. Jahrhunderts zum Vorbild werden.

Denn Paul Francke, der Baumeister der Wolfenbütteler „Hauptkirche BMV“, dürfte St. Stephani schon anläßlich seiner Tätigkeit als Bauschreiber 1564 in Hessen kennengelernt haben. Und noch vor dem Baubeginn in Wolfenbüttel hatte er als Baumeister des Wolfenbütteler Herzogs Heinrich Julius, der ja auch Halberstädter Bischof war, diesem 1613 zumindest einen Bauplan für die Kirche des Osterwieck direkt benachbarten halberstädtischen Hornburg erstellt.

In den Abrechnungsbüchern der Jahre 1552-1557 wurden für das Osterwiecker Langhaus– die Kosten für das gewaltige Dach scheinen nicht auf! – 2910 Gulden abgerechnet. Davon zahlte, vermutlich sogar aus seinen jährlichen Überschüssen, der Rat 88%, den Rest die Kirchengemeinde. Die Steinmetze erhielten mit 1444 Gulden etwa die Hälfte davon, die zweite Hälfte verteilte sich zu annähernd gleichen Teilen auf die Maurer, die Kalkschläger und Kalkbrenner, die Steinbrecher, jeweils mit den Transportkosten, und auf sonstige Baukosten.

Vom katholischen Halberstädter Domkapitel als Patron kam kein einziger Gulden. Andererseits war dies aber für den wirtschaftlich starken Rat ebenso wie für die Kirchengemeinde der schon protestantischen Stadt – schon deshalb waren beide vermutlich an weitgehender Unabhängigkeit sehr interessiert - sicher ein erwünschter und beabsichtigter institutioneller Punktsieg über den nach wie vor katholischen Landesherrn und das domkapitularische Kirchenpatronat.

Bauhütte und Organisation der Bauarbeiten

Nach der Präambel der Bauabrechung wurden 1552 zwei Ratsherren als städtische Bauverwalter eingesetzt. Sie wurden „Bauherren“ genannt, einer der alle zwei Jahre abwechselnd neu gewählten Kirchenvorsteher wurde ihnen mit dem gleichen Titel beigeordnet, sie alle werden namentlich genannt. Ihre Aufgabe war, bauherrenseits die Arbeiten der „Bauhütte“ zu überwachen.

Unter „Bauhütte" – sprachlich abgeleitet von der überall üblichen „Unterkunfts- und Arbeitshütte“ der Steinmetze – ist allerdings mehr als nur diese, nämlich die einem damaligen Bauwerk zugehörige Baustelle als Gesamtheit zu verstehen.

Der überdachte Arbeitsplatz eines oder mehrerer Steinmetze ist bis heute der sogenannte „Schauer“. Der Steinmetzschauer ist meist dreiseitig geschlossen, mit einem Pultdach zur offenen Vorderseite und einer Lüftungsöffnung in der Rückwand. Diese Bauweise soll den Steinmetz vor der Witterung schützen und gleichzeitig den beim Behauen der Steine entstehenden Steinstaub abziehen lassen. Denn die größte Gefahr für einen Steinmetzen ist die Silikose, die Staublunge. Sie entsteht durch das Einatmen quartz- und kieselsäurehaltigen Staubes und führt meist innerhalb weniger Jahre zu einem qualvollen Erstickungstod.

Um der Entwicklung der Staublunge entgegen zu wirken, haben die Steinmetze die Angewohnheit, den Staub einfach „herunterzuspülen“, bevorzugt mit alkoholischen Flüssigkeiten (wie dies auch die Aufzeichnungen der Osterwiecker Bauhütte belegen).

Der Steinmetzschauer ist also nur ein Teil der örtlichen „Bauhütte“ und diese wiederum der Oberbegriff für die Arbeitsplätze aller Bauleute, ihre Unterkunft, ihr Werkzeug- und Materiallager. Beide waren ihrem Ursprung nach immer nur temporäre Einrichtungen.

In der örtlichen „Bauhütte“ waren unter der Leitung eines „Werkmeisters" deshalb nicht nur Steinmetze sondern auch Maurer, Zimmerleute und andere Handwerker tätig. Die vom „Bauherrn“ zur Beaufsichtigung der Bauhütten eingesetzten „Bauverwalter“, die in Osterwieck wiederum ebenfalls „Bauherren“ genannt wurden, hatten den „Werkmeister“ bei der reibungslosen Organisation des Bauablaufs zu unterstützen: z.B. bei der Kirchengemeinde und dem Rat das dafür notwendige Kapital „anzuwerben“ sowie Löhne entweder selbst auszuzahlen oder dem Werkmeister Geld dafür zu übergeben. Zusammen mit dem Werkmeister sorgten diese „Bauherren“ für die Anschaffung von Werkzeugen, von Baumaterial wie Steinen, Sand, Kalk, Bauholz, Gerüsthölzern und Brennholz (zum Kalkbrennen) und die Organisation aller damit verbundenen Transporte. Gemeinsam mit dem „Werkmeister“ hielten die „Bauherren“ den Kontakt mit den Steinbrechern im Steinbruch Schlanstedt sowie den Kalkbrechern in Benzingerode aufrecht – und sie führten die Rechnungsbücher, aus denen wir das alles heute wissen.

Der „Werkmeister" war damals in der Regel immer ein Steinmetzmeister. Ein Steinmetz konnte aber erst „Werkmeister“ werden, wenn er als Mitarbeiter eines erfahrenen Werkmeisters die entsprechenden Qualifikationen als „Bildhauer“ und zum Entwerfen und Gestalten erlernt hatte und an einem eigenen Objekt vielleicht sogar nachweisen konnte. Der „Werkmeister“ war für die Entwurfsrisse, Schablonen und auch Modelle verantwortlich. Oft war er im Besitz entsprechender Musterbücher und Aufzeichnungen. Er koordinierte die verschiedenen Gewerke und dürfte den einzelnen Steinmetzen auch selbst die Löhne ausgezahlt haben. Er verhandelte mit den Steinbrechern im Steinbruch über die Maße und Preise der Steine.

„Werkmeister" wurden gut bezahlt, zum Wochenlohn bekamen sie eine Jahrespauschale, Naturalien an Nahrungsmitteln, Getränke und Kleidung und konnten, wenn sie berühmt und umworben waren, reich werden.

Ein solcher „Steinmetz-Werkmeister" war somit Bildhauer, Architekt, Bauingenieur und Bauleiter in einer Person und erst im 17./18. Jahrhundert ist daraus der Beruf des „Architekten" hervorgegangen, vorher gab es diese nicht.

Und dennoch, wenn mitunter auch der Heimatort Namensbestandteil eines solchen „Werkmeisters“ werden konnte, wissen wir bis ins 16. Jahrhundert hinein von vielen dieser Meister nur die Vornamen.

So ist es auch beim Osterwiecker Werkmeister „Mester Loddenerh". Nach den Kirchenbüchern war ein Steinmetz mit diesem Namen auch der Werkmeister des spätgotischen Langhauses der Osterwiecker Stephani-Kirche, in der er uns zu seinem mehrfach in der Kirche auffindbaren Steinmetzzeichen wenigstens an zwei Stellen noch die Initialen „L K" hinterlassen hat.

Mester Loddenerh - Steinmetz und Werkmeister

Erstmalig machte im Jahr 2000 Gesine Schwarz auf einen „Mester Loddenerh" als Architekten der Osterwiecker Langhaushalle aufmerksam, und dies, obwohl sein Name in den Bauabrechnungen nur siebenmal genannt wird und man eigentlich nur indirekt daraus schließen kann, daß er tatsächlich in dieser Funktion tätig war.

In der ersten Abrechnung an die Steinmetze in Höhe von 276 Gulden werden nämlich extra „4 Gulden und 4 Groschen Mester Loddenerh verlohnet“, am Ende des 2. Baujahres hatte die Kirchengemeinde bei „Mester Loddenerh“ und „Christoffer“ (das war der ortsansässige „Hüttenknecht“) ein Guthaben von 12 Gulden und am Ende des 3. Baujahres erhielt „Mester Loddenerh“ 55 Gulden für die Maurer. „Mester Loddenerh“ war demnach also nicht nur für die Steinmetze zuständig, sondern hatte auch die Löhne an die Maurer auszuzahlen.

Zusätzlich zum „Beddegelt“, einem Handgeld am Vertragsbeginn, das die Maurer und Steinmetze in Höhe von 5 und 4 Gulden erhielten, bekam er nochmals 17 Groschen extra. 1555, als die Arkaden errichtet wurden, gab man für ihn 2 Gulden für ein halbes Faß Bier aus und 1554 erhielt er Geld für die Kammer in der Steinhütte, in der im gleichen Jahr ein „Steinmodell“ hergestellt und gesondert bezahlt wurde. Nochmals lesen wir seinen Namen im Jahr 1556, dem Jahr in dem die Kirche gewölbt und die Schlußsteine eingesetzt wurden, denn in diesem Jahr haben er und die Kirchenväter mit „Meister Peter“, dem Chef der Schlanstedter Steinbrecher, über die Gewölbesteine verhandelt, wobei zweimal 3 Groschen „verdrunken“ wurden. Im gleichen Jahr hat er nochmals 3 Groschen mit Stein-Fuhrleuten in Badersleben „verdrunken“.

Demnach gehörte auch der Kontakt zu den Schlanstedter Steinbrechern und die Organisation der Steintransporte zu seinen Aufgaben. Aber mehr findet sich nicht in den Kirchenabrechungen!

Dennoch wird außer ihm auch kein anderer Steinmetz namentlich genannt.

Das Steinmetzzeichen Mester Loddenerhs ist vermutlich das auf einem Wappen unter einem bärtigen Kopf mit Kappe an der südseitigen Konsole des ersten Südpfeilers. Es ist ein erhabenes Steinmetzzeichen mit den Buchstaben „LK“ darunter. Man steht fast davor, wenn man die Kirche durch ihre eindrucksvolle Brautpforte betreten hat. Im Scheitel der Einfassung dieses östlichen Südportals findet sich schon außerhalb der Kirche dieses Zeichen - auch dort wiederum erhaben gearbeitet, was nochmals den besonderen Rang kennzeichnet. Und deshalb dürfen wir die eindrucksvolle Bauplastik der Brautpforte ebenfalls „LK“ zuschreiben.

Zum dritten und vierten Male begegnet uns dieses erhabene Steinmetzzeichen an der Südkonsole des 4. Südpfeilers und an der Konsole des Westbogens der 5. Nordarkade - und dort wiederum sehr symbol- und bedeutungsträchtig.

Auf einem Wappenschild neben einem nackten Mann, der mit seinen eher schwachen Armen die ganze Last des Baues an dieser Stelle zu tragen scheint, steht hier nur ein „K“, die Wappenkante mit dem „L“ ist weggebrochen. Wenn man davon ausgeht, daß Mester Loddenerh wie damals üblich mit dem Vornamen angesprochen wurde – Loddenerh (Lothar?) K - dann ist die Zuordnung dieser Zeichen zum leitenden Architekten berechtigt.

Der Osterwiecker Steinmetz Jakob Tetteborn

Auf der anderen Seite des Lastenträgers – seiner linken! - befindet sich das Zeichen des Iakob Tetteborn, dessen dort ebenfalls erhaben herausgearbeitetes Zeichen wir außerhalb der Kirche über deren westlichen Südpforte mit der Jahreszahl 1553 sehen können. Und wohl nicht zufällig genau spiegelbildlich zur Konsole des „LK“ an der Südseite des ersten Südpfeilers wurde Jakob Tetteborn der entsprechende Platz an der nördlichen Konsole des ersten Nordpfeilers zugestanden. Sie beide dürften demnach die wichtigsten der Steinmetze gewesen sein.

Jakob Tetteborn war Osterwiecker Bürger. Er durfte sich sogar mit einer Krone auf dem Kopf und vollem Namenzug mit dem Zusatz „Steinmitz“ darstellen. Mindestens 54mal hat er sein Zeichen in der Kirche hinterlassen. Er ist der Schöpfer der 21 aufwendig gestalteten Wappen adeliger Familien mit den inschriftlichen Namensnennungen daneben, die sich über der Gildenprieche und an den nördlichen Pfeilern befinden. Auch die meisten Konsolensteine und persönlichen Wappen von Ratsherren und Bürgern in den Arkadenbögen zeigen sein markantes Zeichen. Ihre einheitliche Gestaltung fällt auf.

Die "Osterwiecker Bauhütte"

Von allen anderen Steinmetzen sind uns nur noch zwei weitere namentlich bekannt.

Im Scheitel der 1. Nordarkade über der Gildenprieche befindet sich eine Inschrift: „1556 Zw der Zeit haben wir mit einnander gedinet“. Und darunter erkennt man ein Wappen mit einem Steinmetzzeichen gleich einem Y und dem Namenszug „Hans von Pesni". Ein zweites Wappen zeigt einen Wolfshaken mit dem leider defekten Namenszug „... kel von Kae."

„Hans von Pesni“, dessen einfaches Y-Zeichen, als zweithäufigstes in St. Stephani vorkommt, dürfte sich über der Gildenprieche an der Ostkonsole der nördlichen Arkadenreihe als Kiepenkerl, dem ein Schalkskopf nach getaner Arbeit die Zunge zeigt, dargestellt haben.

Ein weiterer Meister hat uns im Scheitel des zweiten nördlichen Arkadenbogens sogar sein Porträt neben seinem Steinmetzzeichen hinterlassen, nur sein Name fehlt leider.

Insgesamt wurden bisher 259 Zeichen von 28 verschiedenen Steinmetzen gezählt. Ursprünglich sollten die Zeichen an einem Stein nur nachweisen, welcher Steinmetz ihn bearbeitet hatte, sie dienten also der Abrechung: Wenn sie aber auffällig an Reliefrändern oder plakativ wie auf vielen der sonst schlichten Arkadenbogensteine oder gar demonstrativ und besonders groß wie in den Fensterlaibungen der stadtseitigen Südseite angebracht sind, bezweckten sie vor allem die Selbstdarstellung der Steinmetze – denn an den Fenstern der Nordfront, die dem der Öffentlichkeit unzugänglichen Pfarrgarten zugekehrt sind, gibt es keine Steinmetzzeichen. Auf Grund der gefundenen Zeichen können wir einer Reihe von Steinmetzen die an verschiedenen Stellen der Arkaden verteilten Reliefs zuordnen und gewisse Qualitäts- und Stilunterschiede feststellen – aber gerade in diesem Zusammenhang ist darauf hinweisen, daß fast alles von dem hier Mitgeteilten noch vor 10 Jahren gänzlich unbekannt war und die notwendige bauhistorische Erforschung der Stephani-Kirche durch berufene Fachleute nach wie vor noch nicht einmal begonnen hat.

Alle Steinmetzreliefs dürften schon ab 1552 in der „Steinhütte“ – zu Beginn dieses Jahres wurde ja die alte Kirche zunächst noch abgerissen - durch Bearbeitung der nach und nach aus Schlanstedt herantransportierten Sandsteinblöcke entstanden sein. So konnte schon während des Baus der Außenmauern und Arkadenpfeiler vorgearbeitet werden. Die Sandsteinblöcke wurden nach einem vorhandenen Aufriß auf dem Boden fertig zugerichtet und nur an den Flächen, die später sichtbar blieben, besonders bearbeitet. Auf diese Weise schuf die nebeneinander liegenden zwei oder auch drei Reliefs eines Blockes immer derselbe Steinmetz, dies ist auch deutlich an dem einheitlichen Stil erkennbar.

Der durch Eisenoxydeinlagerungen so auffallend mit rot-braunen Schichten durchzogene feste Sandstein eignet sich sehr gut für die Bearbeitung mit den Werkzeugen der Steinmetze wie Spitz- und Schlageisen, Zahneisen und Bohrer. Die durchschnittliche Höhe der Blöcke beträgt 40 cm. Insgesamt haben die Reliefs die nahezu einheitliche Größe von 40 mal 40 cm. Das sind 1600 cm²/Relief, und bei 300 Reliefs ist es eine Fläche von rund 50 m². An einem Relief wurde ungefähr drei Tage lang gearbeitet. Bei 300 Reliefs ergeben sich so 900 Tage oder: drei Steinmetze waren ein Jahr lang nur mit der Herstellung der Reliefs beschäftigt.

Diese künstlerische Feinarbeit war aber nur ein Teil der von den Steinmetzen zu leistenden Arbeiten. Schon für die Außenwände der Kirche mußten von ihnen die Steine für Fensterlaibungen zubereitet werden. Im Anschluß daran wurden 1555 die Langhauspfeiler, wiederum vielfach mit den Zeichen der Steinmetze versehen, errichtet und auf ihnen 1556 die schon fertig vorbereiteten und bearbeiteten Sandsteinblöcke mit Mörtel zu den Arkadenbögen zusammengefügt. Aus diesem Grund wohl findet sich auf den meisten vermutlich schon ab 1552 von Bürgern, Ratsherren und Adeligen in Auftrag gegebenen Arkadenblöcken und Konsolensteinen die Jahreszahl 1556.

Erst nach Abschluß der Arbeit an den Arkaden konnten der Dachstuhl errichtet, das Dach gedeckt und die drei Schiffe des Langhauses eingewölbt werden. Auch dazu mußten die Steinmetze wiederum die Gewölberippen und Schlußsteine vorbereitet haben und sicher an der Errichtung des Gewölbes mitwirken.

Die Angabe des genauen Wochenverdienstes der Steinmetze erlaubt wichtige Rückschlüsse hinsichtlich der Anzahl der auf dem Bau tätig gewesenen Steinmetze. Aus den vorliegenden, sehr genauen Lohnabrechnungen der Steinmetze können wir entnehmen, daß sie sommers und winters durchgehend von Ostern 1552 bis Ostern 1557 tätig waren, wobei nur an Sonn- und den vielen kirchlichen Feiertagen nicht gearbeitet wurde. Aus den im Kirchenbuch mitgeteilten Arbeitszeiten und Wochenlöhnen und dem Gesamtentgelt konnten wir errechnen, daß gleichzeitig durchschnittlich immer nur 1 Meister, 1 Parlier und 2,25 Gesellen tätig gewesen sein dürften. Der Jahresverdienst betrug für einen Meister oder Parlier 76 Gulden und für einen Gesellen 62 Gulden. Wahrscheinlich war nicht immer, eventuell nur im Sommer neben dem Meister auch ein Parlier beschäftigt. Im Sommer wurden Wochenlöhne bis zu 11 Gulden abgerechnet, was einer Beschäftigung von Meister, Parlier und 6 Gesellen entspricht, im Winter betrug der maximale Wochenlohn 4 Gulden, womit ein Meister und drei Gesellen bezahlt werden konnten. Wir können also auch für Osterwieck von einer erheblichen Fluktuation der auf der Baustelle tätigen Steinmetze ausgehen.

Steinmetze waren damals Spitzenverdiener! Zum Vergleich: 1 Morgen Acker wurde durchschnittlich mit 10 Gulden gehandelt, heute je nach Lage und Bodenwertpunkten zwischen 2000 bis 8000 €. Der Osterwiecker Pfarrer hatte neben den zwar beachtlichen Natural- und Pachteinkünften aus 240 Morgen nur 36 Gulden Geldeinnahme und mehr stand auch der Kirchengemeinde damals aus ihren jährlichen Zinseinnahmen nicht zur Verfügung.

Mester Loddenerh als Architekt und Bauleiter

Doch zurück zum Osterwiecker Werkmeister Mester Loddenerh. Was fand er eigentlich vor? Wie sah die Stephani-Kirche vor dem 1552 vorgesehenen Umbau aus?

Dies macht eine Fotografie der nach Kriegsschäden erst 1969 endgültig abgerissenen Halberstädter Paulaner-Kirche sehr anschaulich. Denn diese ehemalige Augustiner-Chorherrenkirche bestand bis 1945 aus einer romanischen Turmfront, einem zwar gotisierend umgebauten und verbreiterten relativ niedrigen romanischen Kirchenschiff - man erkennt noch dessen Querschiff - und einem anstelle der Apsis angebauten sehr hohen gotischen Chor, der von 1363-1408 in Hinsicht auf ein geplantes größeres Kirchenschiff auf Zuwachs errichtet worden war. Den Neubau eines größeren und höheren Langhauses anstelle des romanischen Kirchschiffs zwischen dem Chor von 1516 und der Turmfront aus dem 12. Jahrhundert auch an St. Stephani durchzuführen, war genau die Aufgabe, vor der Mester Loddenerh 1552 in Osterwieck stand.

Nach den Kirchenrechnungsbücher lassen sich als Schwerpunkte seiner Tätigkeit erkennen:

Zunächst die Einrichtung der „Steinhütte“ und Beschaffung des notwendigen Arbeitsinventars, wobei ihm als Hüttendiener der Osterwiecker Christoffer Stegeler zur Seite stand. Als Anschaffungen sind verzeichnet: Papier, Harz, Wachs, Töpfe, Leim, Schubkarren, Molden, Schaufeln, Haken und Haspen, Nägel, Meßbare, Richtscheidte, Blei, Holzgefäße, Kalkeisen, Stricke, Örter, Zirkel, Klammern, Sägen, Eimer, Winkelhölzer, Krüge, Bürsten, Schlegel, Drehbohrer, Blasebälge, Bicken, Seile, Schlösser, Hanfhadern, Tröge, Tragbahren, Besen, Richthölzer, Wasserwagen, Schwefel, Bast, Gips, Richtschnüre, Fett, Talg und Latten- und Dornnägel u.a.m. Im Herbst 1553 wurde die Hütte beheizbar und winterfest gemacht und später sogar gekachelt.

Neben der Baustelleneinrichtung war der Abriß des alten Kirchenschiffs und der Bau des Außenmauerwerks zu planen und durchzuführen. Dies alles mußte einschließlich der Beschaffung des Baumaterials (z. B. von schon gebranntem Kalk im ersten Baujahr!) und evtl. unter Recycling des Abbruchmaterials organisiert werden.

Der Schlanstedter Steinbruch

Eine wichtige Aufgabe war sicher die Aufrechterhaltung eines ständigen Kontaktes mit dem Schlanstedter Steinbruch. Ca. 40mal kommt der Name Schlanstedt im Bauregister vor: so im Zusammenhang mit Botengängen nach dort und Besuchen Osterwiecker Bauherren und Mester Loddenerhs zu Besprechungen und Verhandlungen mit „Mester Peter“, dem Chef der Steinbrecher, z. B. wegen der Steintransporte von dort sowie zu Abrechnungen und Naturallieferungen an die Steinbrecher.

Schon im ersten Baujahr 1552 wurden 20% aller Steine überhaupt nach Schlanstedt abgerechnet, obwohl die Steintransporte erstmals 1553 nachweisbar sind. Da dennoch in der Osterwiecker Bauhütte schon 1552 der Lohn für einen Steinmetz-Meister und 4 Gesellen gezahlt worden war, ist anzunehmen, daß die Steinmetze im Steinbruch bei der Vorbereitung der ab dem nächsten Jahr in Osterwieck benötigten Steine eingesetzt wurden.

In diesem Zusammenhang ist interessant, daß 1552 ein Bauherr und ein Kirchenvorsteher jeweils 2 Gulden nach Schlanstedt brachten und des öfteren Trinkgelder nach dort und zweimal auch „auf die Huysburg“ gegeben wurden. Schlanstedt wird ab 1553 und weiterhin noch sehr häufig erwähnt, die Huysburg nur noch einmal im Jahr 1553, weil 5 Groschen vertrunken wurden „als wir mit Ihnen dort wohnten.“

Gehörte dem Benediktiner-Kloster vielleicht der heute längst aufgelassene Steinbruch, den wir im März 2004 etwa 500 m östlich der Straße zwischen Eilsdorf und Aderstedt wieder entdeckten?

Von dieser abzweigend gelangt man nach einer etwas abenteuerlichen Fahrt auf einem Feldweg entlang eines Bachbetts in Richtung Schlanstedt und einigen 100 Metern Wanderung durch Gestrüpp an den Fuß einer ca. 6 m hohen Steinmauer, die man in dieser Dimension und an dieser Stelle so nicht erwartet. Der Steinbruch gehörte damals zum Gebiet des Amtes Schlanstedt – und die Wappen des Hauptmann dieses Amtes, Asse von Kneitling und das seiner Frau Anna von Mandelsloh befinden sich am 3. Nordpfeiler der Kirche.

Zu organisieren waren die Steintransporte ins rund 18 km entfernte Osterwieck. Dies leisteten die Bewohner der umliegenden Orte wie Rhoden, Veltheim, Osterode und Zilly; Deersheim; Berßel; Badersleben, Schlanstedt, Dedeleben, Anderbeck und Dingelstedt; Dardesheim, Vogelsdorf und Huy-Neinstedt; und Schauen. Für den schweren Transport erhielten sie meist nur gute Bewirtung bei der Ankunft, wenn nötig auch Unterkunft. Die wohlhabenden Osterwiecker Bürger hingegen, denen wir auch als Bauherren, Bürgermeistern oder Ratsherren auf ihren Wappen in der Kirche begegnen, beteiligten sich ebenfalls, erhielten aber für jede Fuhre die stattliche Summe von 1 Gulden. Die dörflichen Bewohner hatten vermutlich die Fuhren als Frondienste für ihre Gutsherren und Amtshauptleute in den Ämtern Hornburg und Zilly, den Gerichten Deersheim und Berßel, den Ämtern Schlanstedt und der Dompropstei und dem Klosterhof Schauen zu leisten. Und diese wurden im Gegensatz zu ihren Untertanen alle in St. Stephani mit Sandsteinreliefs verewigt (in der obigen Aufzählung sind die den einzelnen Ämtern zuzuordnenden Dörfer durch Semikolons getrennt).

Aber nicht nur die Steintransporte mußten von den Bauherren und dem Werkmeister Loddenerh organisiert werden. Dies betraf genau so die Sand- und Holztransporte und die Transporte des im ersten Baujahr schon gebrannten und 1553 bis 1556 noch zu brennenden Kalkes aus Benzingerode, wobei dies nun auch noch mit dem Brennen und Löschen des Kalkes an der Baustelle durch darauf spezialisierte Handwerker koordiniert werden mußte, um den wechselnden Bedarf an hochwertigem Mörtel durch die ganze Bauzeit hindurch zu gewährleisten.

Die Osterwiecker Langhaushalle – Denkmal für einen bisher unbekannten Werkmeister

Bis dies alles so geschehen konnte mußte Mester Loddenerh das Steinmetz Gesamtkunstwerk St. Stephani planen und auch durchführen: dazu gehörten die Errichtung der Arkadenbögen und der sie tragenden Pfeiler, die Einwölbung der drei Kirchenschiffe unter dem vorher eingedeckten Dach und darüber hinaus Entwurf, Anleitung und Überwachung jedes Details dieser reichhaltigen kunsthistorisch einmaligen Bauplastik. Es ist ein Programm von ebenso großer Harmonie und Stilsicherheit wie Vielfalt. Man stelle sich vor, wie viele heute daran konzeptionell, organisatorisch und durchführend beteiligt sein würden! Ein Steinmetz-Werkmeister des 16. Jahrhunderts war dagegen ein Einzelkämpfer.

Ob er dennoch nicht auf seine Rechnung gekommen ist? – und zum Schluß arm wie eine Kirchenmaus war, die auf einem der Reliefs sogar schon aus dem letzten Loch zu pfeifen scheint?

Denn mit dem Kirchenbucheintrag bei der Ratsabrechnung 1557: „und 8 Gulden 10 Groschen, so Mester Loddenerh geliehen“ entschwindet der „Osterwiecker Werkmeister Loddenerh“ für immer unserem Gesichtsfeld. Wer war er, wo kam er her und wohin ging er? Nicht einmal „Google“ hat bisher darauf eine Antwort.

Literatur:

Binding, Günther: Baubetrieb im Mittelalter, Primus-Verlag, Köln und Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1993

Conrad, Dietrich: Kirchenbau im Mittelalter, Edition Leipzig, 1990

Thiele, Klaus: Die frühprotestantische Kirche St. Stephani in Osterwieck, Zur Kulturgeschichte einer Kirche, einer Stadt und einer Landschaft im Reformationsjahrhundert, Mskr. 2001.

Thiele, Klaus: Die frühprotestantische Kirche St. Stephani in Osterwieck, 194 Wappen und Inschriften [...], Mskr. 2002.

Thiele, Klaus: Die frühprotestantische Kirche St. Stephani in Osterwieck [...], 194 Wappen und Inschriften in St. Stephani: Stiftsadel und Stifter von Adel, Wappen von 33 adeligen Familien der Jahre 1556-1617, Mskr. 2002.

Thiele, Klaus: Zur Geschichte eines aufgelassenen Steinbruchs bei Schlanstedt, „2 gr verdrunken nach Slanstedt“, in: Zwischen Harz und Bruch, Heft 36, Halberstadt 2004, S. 27-31.

Thiele, Liselotte: „Den Steinmetzeren vorlönet Anno 1552“ – „Vom Rade Ingenohme“, S. 70-75, in: 1200 Jahre Bistum Halberstadt Osterwieck. Frühe Mission und frühprotestantische Bilderwelten, (= Harzforschungen 21), Lukas Verlag, Wernigerode und Berlin 2005.

Thiele, Klaus: Das frühprotestantische Hauptschiff 1552-1557..., S. 76-78, in: 1200 Jahre Bistum Halberstadt. Osterwieck. Frühe Mission und frühprotestantische Bilderwelten, (= Harzforschungen 21), Lukas Verlag, Wernigerode und Berlin 2005.

Schwarz, Gesine: „...und haben auch anno Domini 1552 die gantze Kirch ohn anderer leut hülff und beschwerniß auß dem grund schön und new gebaut“. Ein erster Bericht über das Rechnungsbuch von St. Stephani aus der Bauzeit, in: 1990-2000 - 10 Jahre Kirchbauverein St. Stephani/Osterwieck, Druckerei Pigge Druck+Service, Osterwieck 2000.

E-mail-Kontakt: webmaster@st-stephani.de